Es sind die Schattenseiten der digitalen Revolution. Amazon sperrt das Kindle-Konto einer norwegischen Kundin ohne die Angabe von Gründen. Was folgte, war der empörte Aufschrei tausender Nutzer im Internet. Nun hat die Betroffene ihr Konto wieder zurück. Doch was bleibt, ist die Erkenntnis, der Willkür eines Großkonzerns ausgeliefert zu sein.
Der Fall sorgte auch deshalb für so großes Aufsehen, weil der norwegische Blogger Bekkelund die genauen Einzelheiten auf seinem Blog veröffentlichte. Der Blogeintrag erzählt nicht nur die Geschichte von dem Opfer, von Bekkelund nur „Linn“ genannt, sondern gibt auch detailliert den Kontakt mit Amazons-Kundenservice wieder.
Ein Missverständnis eskaliert
Die Geschichte ist zunächst recht unspektakulär. Ihren ersten Kindle schenkte Linn ihrer Mutter, die ihn Großbritannien lebt. Danach kaufte Linn sich über eine Kleinanzeige einen gebrauchten Kindle, nutzte ihn intensiv und erwarb dabei fast 50 E‑Books von Amazon. Als das Gerät dann kaputt ging, erklärte sich Amazon bereit, das Gerät zu ersetzen. Allerdings unter der Voraussetzung, dass Linn eine britische Adresse angab.
Nun bemerkte Linn plötzlich, dass ihr Kindle-Konto gesperrt war. Darauf folgten mehrere Anfragen Linns an den Amazon Kundenservice, weil sie wissen wollte, warum ihr Konto gesperrt wurde. Zunächst gab der zuständige Kundenbetreuer als Antwort, der Verstoß gegen Amazons Nutzerbedingungen eines mit Linn verknüpften Kontos sei schuld. Linn wollte nun Details wissen, bekam aber von Amazons Kundenservice eine Absage. Eine erneute Anfrage wurde schließlich damit kommentiert, sie solle sich einen neuen Händler suchen, der ihre Bedürfnisse besser erfülle.
Am Wahrscheinlichsten dürfte sein, dass der Verstoß von der Person ausging, von der Linn den Kindle gekauft hat. Ob es sich um einen internen Fehler handelt, der den gebrauchten Kindle fälschlicherweise mit der E‑Mail-Adresse des Erstkäufers verbunden hat, bleibt unklar, auch, weil Amazon nach wie vor keine Details nennt. Mittlerweile hat Linn ihr Konto – vermutlich hauptsächlich aufgrund des Drucks der Öffentlichkeit – wieder. Eine Entschuldigung oder ein Statement von Amazon gibt es nicht. Was bleibt, ist nicht nur negative Publicity für Amazons Kundendienst, der sonst eigentlich einen herausragenden Ruf hat. Das Problem liegt eher in der Erkenntnis, dass gekaufte Bücher nicht mehr das Eigentum des Käufers sind.
Nutzen ja, besitzen nein
Zweierlei ist an dem losgetretenen Shitstorm schockierend. Erstens die Tatsache, dass es ihn überhaupt gibt. Denn das man bei dem Kauf eines E‑Books nicht das Besitzrecht, sondern nur eine nutzbare Lizenz erwirbt, ist alles andere als neu. Wir kennen dieses Verfahren bereits von digitalen Spielen und Filmen. Es bedarf also eines handfesten Skandals, bis dieses Vorgehen den Nutzern überhaupt auffällt. Oder vielleicht auch nur, bis es ihnen bewusst wird. Erst jetzt scheint vielen klar zu werden, dass sie sich durch den Kauf von E‑Books von dem jeweiligen Konzern abhängig machen. Dieser bestimmt darüber, wann und wie lange das gekaufte Produkt genutzt werden darf. In den digitalen Nutzungsrechten von Amazon steht das klar und deutlich.
Zweitens ist aber auch schockierend, wie Amazon mit diesem selbstgeschriebenen Privileg umgeht. Die willkürliche Sperrung einer unschuldigen Nutzerin lässt erahnen, wie schnell man seine jahrelang aufgebaute Bibliothek wieder loswerden kann. Ein Missverständnis reicht dafür schon aus. Linn hätte ihren Account ohne die vielen negativen Schlagzeilen wohl nicht wiederbekommen. Die Flucht in die Öffentlichkeit scheint hier die einzig funktionierende Maßnahme zu sein.
Wege aus der Abhängigkeit
Dass Amazon seine Nutzungsbedingungen ändert, ist mehr als unrealistisch. Was kann der Einzelne also tun, um dem Extremfall vorzubeugen? Eine Möglichkeit besteht darin, seine Bücher auf dem PC zu speichern, am besten sogar in einem anderen Format. Auch eine Rückkehr zum klassischen Buch ist für verschreckte Leser natürlich eine Alternative. Immerhin hat man hier die Gewissheit, dass man seine Bücher behalten darf – egal was mit dem Amazon-Konto passiert.
Unaufhaltsam, unumkehrbar
Es ist eine bedenkliche Entwicklung. Die Rechte des Einzelnen sind beim E‑Book-Kauf sehr eingeschränkt, die Macht liegt bei Amazon. Das macht uns zu Lesern von Amazons Gnaden. Allerdings ist das kein Einzelfall. Alle Global Player sichern sich auf diese Weise ab, um Missbrauch vorzubeugen, wie es als Begründung immer etwas lapidar heißt. Wir, die Nutzer, haben uns aber auch bereitwillig in dieses ungleiche Machtverhältnis begeben, teils durch Unwissen, teils durch Unterschätzung. Für Einsicht ist es für viele nun zu spät. Es bleibt zu hoffen, dass Amazon seine Macht zukünftig nicht missbraucht. Die Webseite des norwegischen Bloggers, der den Fall publik machte, ist mittlerweile übrigens gesperrt. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.